(2023–2024)
Häufig sind Machtmechanismen mit der Fähigkeit, dem Privileg zu sehen, verbunden – derjenige, der sich in der Position des Beobachters befindet, erhält einen strategischen Vorteil gegenüber demjenigen, der dies nicht tut. Darüber hinaus reicht es aus, wie die Idee des Panoptikums zeigt, das Potenzial des Sehens zu haben, selbst wenn es nicht genutzt wird: Derjenige, der ein potenzieller Beobachter ist, befindet sich in einer mächtigeren Position als derjenige, der potenziell gesehen wird.
Tiere nutzen augenähnliche Markierungen, sogenannte Ocelli, in ihrem Aussehen als Mechanismus, um Raubtiere zu täuschen und ihnen vorzugaukeln, dass jemand sie ansieht, wachsam, aufmerksam und reaktionsbereit. Obwohl es sich nicht um echte Augen, sondern um Trugbilder von Augen handelt, nutzen sie das Potenzial des Sehens – sie sehen nicht, aber es scheint, als ob sie es könnten. Ein solches Potenzial reicht aus, um eine Veränderung in der Umgebung herbeizuführen. Orte, die scheinbar frei von jeglicher Präsenz sind, werden plötzlich zu potenziell und unvermeidlich durchdrungenen Orten. Wie ein Kind, das dem Blick seiner Mutter nicht entkommen kann, kann man sich nicht vor dem Blick des anderen verstecken. Dem Kind bleibt nur die Möglichkeit, die Augen zu schließen und so zu tun, als sei es nicht mehr sichtbar. Das Anschauen kann durchaus als aggressive Handlung betrachtet werden. Durch Ablenkung des Blicks oder, noch drastischer, durch das Schließen der Augen verliert man, ähnlich wie ein ahnungsloses Tier in der Wildnis, das Bewusstsein für eine mögliche Gefahr. Die Kontrolle wird demjenigen überlassen, der noch sieht. Andererseits kann das Schließen der Augen eine sehr machtvolle Verweigerungsgeste sein – die Weigerung, etwas anzuschauen, was man nicht sehen will, es aus dem Blickfeld auszuschließen, sich zu weigern, das Geschenk des eigenen Blicks anzubieten.
Die Kamera – ein Auge, das nicht sieht, aber es scheint, als ob es das könnte. Es verwandelt die Subjekte in einem Raum in potenzielle Objekte in einem Bild. Während das Schießen (von Bildern), als technologische Erweiterung des Sehens ein potenziell aggressiver Akt ist, kann es auch als Mittel dagegen eingesetzt werden. Das Objekt der Beobachtung wird spontan zum Beobachter – indem man eine Kamera nimmt und den Blick des anderen zurückwirft.






Bildquellen
- Tamara Granatkina, Stain II, aus der Arbeit „in the depth of my eye (the image is painted)“: © Tamara Granatkina
- Tamara Granatkina, Defence strategy #2.4 (hide), aus der Arbeit „in the depth of my eye (the image is painted)“, 2023–2025: © Tamara Granatkina
- Tamara Granatkina, Defence strategy #1.1 (close your eyes), aus der Arbeit „in the depth of my eye (the image is painted)“, 2023–2025: © Tamara Granatkina
- Tamara Granatkina, Park_(leere) I, aus der Arbeit „in the depth of my eye (the image is painted)“, 2023–2025: © Tamara Granatkina
- Tamara Granatkina, The Hider – The Gazer IV, aus der Arbeit „in the depth of my eye (the image is painted)“, 2023–2025: © Tamara Granatkina
- Tamara Granatkina, The Hider – The Gazer I, aus der Arbeit „in the depth of my eye (the image is painted)“, 2023–2025: © Tamara Granatkina