Jürgen Hurst “Dissolving Structures” (2019/2022)
Allgemein, Jürgen Hurst, Wo ist hier? Wann ist jetzt?

Jürgen Hurst “Dissolving Structures” (2019/2022)

6 Bilder, Pigment Print Photo Rag auf Polyurethan Hartschaum

Welche Eigenschaften sind für die fotografische Abbildung der Welt konstitutiv? Welches Bild entsteht beim fotografischen Akt und welches beim Betrachten einer Fotografie? Inwieweit ist Fotografie nur ein transparenter Prozess, der eine Durchsicht auf die Welt schafft? Die Fotografie als Medium wirkt stark über die Wahrnehmung des fotografierten Gegenstands, der festgehaltenen Situation. Der Prozess der Fotografie, auch das physische Objekt “Bild” treten häufig in den Hintergrund. Grund hierfür ist, dass wir die abgebildete Person, den Gegenstand oder die Ansicht schnell mit unserer eigenen Welterfahrung in Verbindung bringen können. Der Fokus unserer Aufmerksamkeit wandert dadurch direkt durch das Bild hindurch zum Gegenstand. Dieser Umstand wird in der Theorie als “Transparenz” bezeichnet. Die Fotografie wird derart auf einen medialen Kanal zwischen Betrachterinnen und Betrachtern auf der einen Seite und dem Gegenstand der Fotografie auf der anderen reduziert.

Die Arbeit “Dissolving Structures” besteht aus einer Serie von Collagen, in denen Fotografien zu neuen Ansichten zusammengesetzt werden. Jede einzelne Fotografie bildet einen Ausschnitt ab, der in der Realität verankert ist. Die einzelnen Ansichten spiegeln damit Gewesenes wider. Das collagierte Gesamtbild jedoch hat als Gegenstand, Anordnung oder Situation niemals existiert. Es hat keinen Anker in einer Wirklichkeit, es ist kopfgeboren. Obgleich sie also aus realen Ansichten zusammengesetzt sind, entstehen fotografisch Bilder, die keiner Realität zugeordnet werden können. Die Eigenschaft “Transparenz” wird durchbrochen. In der Serie findet dieser Bruch Ausdruck an den Schnittstellen zwischen den einzelnen Bildsegmenten. Es entstehen Übergänge, die nicht passen; es tauchen unerwartete Wechsel zwischen Licht- und Farbeigenschaften auf; es werden neue Räumlichkeiten in den Bildern konstruiert, verschiedene Objektgrößen und -abstände zusammengesetzt, multiple Perspektiven konstruiert. Der Eindruck, den man bei der Betrachtung erhält, beginnt zu oszillieren: ein Schwingen zwischen “ja, erkenne ich” und “nein, so kann das nicht passen” tritt auf. Mit dem Schwinden der Transparenz der Fotografie bleibt der Blick im Bild und bewegt sich nicht durch dieses hindurch. Das Bild wird zum Objekt, zum Gegenstand. Diesem Umstand wird durch die physische Schichtung der Segmente zusätzlicher Ausdruck verliehen.

Der Titel „Dissolving Structures“ bezieht sich auf den Umstand, dass Strukturen aufgelöst und neu zusammengefügt werden. Den Betrachterinnen und Betrachtern wird durch die sichtbare Segmentierung und physische Schichtung der Collage ermöglicht, den Prozess von Auflösung und erneuter Zusammensetzung im Bild selbst nachzuvollziehen.

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